Ausgabe 03/2019

Boost4.0 - Big Data for Factories

Ein Großteil der in der Fertigung anfallenden Daten bleibt ungenutzt, da die Auswertung nicht in der Geschwindigkeit vorgelegt werden kann, in der Entscheidungen getroffen werden müssen. Der Industrie gehen so bis zu 99 Prozent des erfassten Datenwertes verloren. Ein zusätzliches Problem: Um aus Daten Wert zu schöpfen, müssen sie unter anderem mit Kontextinformationen versehen sein. Aber das trifft nur auf drei Prozent der Fertigungsdaten zu. Um Effizienz und Produktivität zu steigern, ist es unerlässlich, unternehmensübergreifende heterogene Datenflüsse zu harmonisieren und so die begrenzte Verfügbarkeit offener Datensätze zu überwinden.

Das von der Europäischen Union geförderte Projekt BOOST 4.0 baut einen European Industrial Data Space, um Produktionsdaten aller Art interoperabel zu machen und damit die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu verbessern. Die Initiative soll die Einführung von Big Data und modernen Methoden der Datenanalyse in der europäischen Automobilindustrie durch globale Standards, offene Programmierschnittstellen (APIs), eine sichere digitale Infrastruktur sowie digitale Fertigungsplattformen beschleunigen.

 Da die Kontextualisierung von Informationen umständlich ist und eine intensive manuelle Bearbeitung der Datenquellen erfordert, können semantische Modelle und semantische Interoperabilität eine vertrauenswürdige und verbesserte Plattformanbindung ermöglichen. Sie basieren auf der Definition und Verwendung gemeinsamer standardisierter (konvergierter) APIs und auf häufig verwendeten und beworbenen industriellen Datenmodellen. Die Hauptkomponente solcher Modelle wird ein Netzwerk von Kernvokabularen mit den Dimensionen Lebenszyklus, Hierarchieebenen und geschäftlich-funktionale Aspekte sein, das die Kernkonzepte der Fertigung abdeckt.

 Das Joint Lab „Data Science & Open Knowledge“ der TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften und des Forschungszentrums L3S ist als Partner an BOOST 4.0 beteiligt. Die Forschungsgruppe von Prof. Dr. Sören Auer (Dr. Javad Chamanara, Alexandra Garatzogianni und Yaser Jaradeh) entwickelt semantische Modelle und Vokabulare mit den Schwerpunkten Ontologien, Datenintegration und semantische Modellausrichtung. „Die semantische Modellierung ermöglicht nicht nur die Datenermittlung durch eine breitere Community, sondern macht die Daten auch maschinenlesbar“, sagt Dr. Javad Chamanara. Dadurch lassen sich maschinelles Lernen als auch maschinelle Analysemethoden auf ein größeres Datenvolumen in deutlich kürzerer Zeit anwenden. Somit haben die Entscheidungsträger ein besseres Verständnis für die Daten und die Funktion ihrer Fertigung und erhalten diesen Einblick in der Zeit, die sie benötigen. Die Anwendung der Ontologie auf Industriedaten ermöglicht, dass Daten unternehmensübergreifend ausgetauscht und durch andere Partner wiederverwendet werden können. Für das Top-Management bedeutet dies: schnellere und fundierte Entscheidungen und die Möglichkeit, Best Practices zu nutzen, die durch eine umfassende Datenanalyse der Community-Daten erzielt wurde - etwas, das kein einzelnes Mitglied kurzfristig erreichen kann.

Ein weiteres Plus: Das Team von Prof. Auer hat mit VoCol eine integrierte Umgebung für die kollaborative Wortschatzentwicklung erstellt. Inspiriert von agilen Methoden der Software- und Inhaltsentwicklung ermöglichen die VoCol-Methodik und -Tools den Konsens zwischen Experten und die Zusammenarbeit von Fachleuten und Wissensingenieuren. VoCol wird unabhängig von komplexen Softwarekomponenten implementiert. Es bietet den Mitarbeitern ein verständliches Feedback zu syntaktischen und semantischen Fehlern und ermöglicht den Zugang zu einer für Menschen lesbaren Präsentation des Vokabulars. Im Projekt Boost4.0 wird VoCol für die Entwicklung der semantischen Modelle und deren anschließende Anpassung an verwandte Standards eingesetzt.

„Mit den Ergebnissen von Boost4.0 wollen wir Nutzen für den regionalen Forschungstransfer schaffen“, sagt Prof. Auer. „So haben wir beispielsweise ein regionales Kompetenznetzwerk International Data Space mit niedersächsischen Unternehmen gegründet, das konkrete Anwendungsfälle der Datenraumarchitektur von Boost4.0 entwickeln und realisieren soll".

BOOST4.0 ist die größte Initiative im Bereich Big Data for Industry 4.0. Zum Konsortium gehören insgesamt 50 Unternehmen aus 16 Ländern, darunter Volkswagen, Volvo und Siemens. Die Fördersumme durch die EU beträgt 20 Millionen Euro, hinzukommen 100 Millionen Euro Investitionen durch die teilnehmenden Unternehmen.

Vorgestellte Projekte
Kontakt

Prof. Dr. Sören Auer

Sören Auer ist Professor für Data Science und Digital Libraries an der Leibniz Universität Hannover, Mitglied des erweiterten L3S-Direktoriums und Direktor der TIB - Leibniz Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften.