Struktur eines Berichtes der Tagesschau zur Grundsteuerreform-Diskussion vom 17.8.2022. Es werden Erzählmuster verwendet, wie sie sonst in Filmen angewendet werden, beispielsweise wird der Bezug zum Alltag am Anfang des Berichtes zunächst hergestellt und schließlich am Ende wieder aufgegriffen, um einen Handlungsbogen zu erstellen. Dabei wird die Kritik an der Politik auf Basis von zuvor gezeigten Informationen und Interviews zum Thema erneuert. (Quelle: Noch nicht veröffentlichter Artikel der Projektpartner John Bateman, Manuel Burghardt und Chiaoi Tseng)

Ausgabe: 03/2023

Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und alternativen Nachrichtenvideos

Narrative der Desinformation verstehen

Das Vertrauen in Nachrichten geht in Deutschland immer weiter zurück. Einer der Gründe sind falsche oder irreführende Informationen in sozialen Medien, die sich durch virale Mechanismen schnell verbreiten. Zur Desinformation tragen aber nicht nur alternative Nachrichtenquellen bei. Neue Forschungserkenntnisse zeigen, dass auch seriöse Nachrichtenformate ungewollt eine desinformierende Wirkung haben können. Sie verwenden immer häufiger Erzählmuster wie Nahaufnahmen von emotionalen Gesten oder Gesichtsausdrücken, die primär in Spielfilmen eingesetzt werden, um bestimmte Gefühle bei den Zuschauern auszulösen. Damit besteht die Gefahr, dass Teile des Publikums seriösen Nachrichten nicht mehr vertrauen und sich Quellen zuwenden, die bewusst falsche Informationen verbreiten oder Fakten verzerrt darstellen.

Mit der Wirkung von Narrativen der Desinformation in öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen und Nachrichtenvideos aus alternativen Quellen befassen sich Wissenschaftler des L3S gemeinsam mit Kollegen der Universität Bremen und der Universität Leipzig. Ihr Projekt FakeNarratives ist eines von zehn Forschungsvorhaben, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert werden, um Desinformation im Internet zu erkennen, zu verstehen und zu bekämpfen.

Mechanismen offenlegen

Das interdisziplinäre Projektteam kombiniert Diskursanalyse, linguistische Analyse und Forschungsmethoden aus den digitalen Geisteswissenschaften mit maschinellen Lernverfahren zur Videoanalyse und Visual Analytics. „Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickeln wir semi-automatische Ansätze, die auch in einem Softwaretool integriert werden,“ sagt Prof. Dr. Ralph Ewerth, der das Projekt am L3S leitet. Die Wissenschaftler wollen Mechanismen und Strategien von Narrativen der Desinformation systematisch offenlegen und auf Basis einer groß angelegten Medienanalyse wirksame Gegenmaßnahmen ableiten. „Wir möchten konkrete Empfehlungen und Lösungen für die Ersteller von öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen bereitstellen, die helfen, ungewollte Narrative der Desinformation zu vermeiden und Desinformationskampagnen zu neutralisieren.“

Multimodale Analyse

Ewerth und seine Mitarbeiter Dr.-Ing. Eric Müller-Budack und Gullal Cheema befassen sich am L3S vorrangig damit, Sprach-, Bild- und Textinformationen aus Nachrichtenvideos zu extrahieren. Die Wissenschaftler setzen dafür aktuelle Deep-Learning-Methoden aus den Bereichen maschinelles Sehen, Audioanalyse und natürliche Sprachverarbeitung ein. Außerdem verwenden sie sogenannte Vision-Language-Modelle, die Computer-Vision-Ansätze mit neuartigen Large-Language-Modellen der generativen KI, wie GPT-4, verknüpfen und zahlreiche Informationen aus Videos extrahieren. In Kombination mit innovativen Visualisierungsformen und modernen Ansätzen der Diskursanalyse (womit sich die Teams in Leipzig und Bremen befassen) werden die extrahierten Informationen zur Identifikation narrativer Muster der (Des-)Information in Nachrichtenvideos verwendet.

Aus einem Bericht der Tagesschau zum Krieg Russlands in der Ukraine vom 1.3.2022. Während des Ausschnittes wird gesagt: „Vor allem für die Kinder eine unglaubliche Belastung. Sie flohen aus Lviv. Die Familie ist zerrissen." Durch die Kombination des Bildes, welches ein Close-up eines traurigen Kindes zeigt, mit Superlativen („unglaublich”) und die Wortwahl („zerrissen”) werden bewusst extrem negative Emotionen in den Beitrag eingepflegt. Da die Objektivität des Beitrages dadurch beeinträchtigt wird, könnte dies eine desinformierende Wirkung auf das Publikum haben.  Quelle.

Kontakt

Prof. Dr. Ralph Ewerth

Ralph Ewerth ist Mitglied des L3S. Er leitet die Forschungsgruppe Visual Analytics des Joint Lab von L3S und TIB (Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften) und ist Professor für Visual Analytics an der Leibniz Universität Hannover.  

Dr.-Ing. Eric Müller-Budack

Eric Müller-Budack ist Postdoktorand in der Forschungsgruppe Visual Analytics des Joint Labs von L3S und TIB (Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Computer Vision und Multimedia Information Retrieval.