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Partizipative Technikentwicklung für die Pflege 4.0

Jeder zweite Deutsche ist älter als 45 Jahre. Wer wird sich in Zukunft um die steigende Zahl pflegebedürftiger Menschen kümmern? Schon heute herrscht in der Pflege ein Fachkräftemangel und die Pflegekräfte gehen in ihrem Arbeitsalltag an die Grenzen der Belastbarkeit. Wie bei kaum einem anderen gesellschaftlichen Problem sind die Hoffnungen groß, dass digitale Technologien zur Lösung des Pflegenotstandes beitragen werden. Und so erscheinen Informations- und Assistenzsysteme, E-Health-Anwendungen oder sogar Pflegeroboter als Chance für eine Pflege 4.0. Digitale Technologien sollen nicht nur die Pflegenden entlasten und die Lebensqualität der Gepflegten verbessern, sondern auch die Effizienz der Pflegeleistungen erhöhen. Pflege soll also langfristig digital werden. Dieser Zukunftsvision steht der immer noch sehr geringe Einsatz digitaler Technologien im Pflegealltag gegenüber. Trotz massiver Förderung sind nur wenige Anwendungen in den Pflegeheimen zu finden. Woran liegt das? Warum bleibt das Potenzial der digitalen Transformation in der Pflege bisher eindeutig hinter den Möglichkeiten zurück?

Der Grund liegt in der mangelnden Gebrauchstauglichkeit im pflegerischen Alltag. Die geringe Akzeptanz bei den Zielgruppen zeigt: Es reicht nicht, Technologien für die Pflege bereitzustellen. Vielmehr müssen sie gemeinsam mit den zukünftigen Nutzern entwickelt werden. Solch eine partizipative Technikgestaltung soll die unterschiedlichen Akteure aus der pflegerischen Praxis und den beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen zusammenbringen - samt ihrer jeweiligen Perspektiven und Anforderungen an die Technologien. Dieses komplexe Verfahren kann nur gelingen, wenn neben Pflegekräften und Gepflegten auch Soziologen in die Technikentwicklung eingebunden werden. Sie sollen die komplexen Interaktionen während der Technikentwicklung koordinieren und bei Konflikten notfalls intervenieren.

Mit dem Projekt „Optimierung der Pflege in der Altenhilfe durch Sensornetzwerke“, kurz OPAL, fördert das Land Niedersachsen modellhaft die partizipative Einführung innovativer Sensortechnik, um die Situation der Bewohner und Pflegekräfte in Altenheimen zu verbessern. Im soziologischen Teilprojekt von OPAL erforschen Soziologen des L3S, wie sich die Technikgenese zusammen mit Praxispartnern aus Pflege und Technikentwicklung möglichst partizipativ gestalten lässt. Mithilfe eines qualitativen Forschungsdesigns, das Interviews und Fokusgruppen-Diskussionen umfasst, begleiten Prof. Dr. Stefanie Büchner, Dr. Jannis Hergesell und Malte Weber vom L3S die Einführung von Sensorbetten in einem Altenheim. Die Wissenschaftler wollen herausfinden, wie sich digitale Anwendungen auf Arbeitsorganisation und Pflegepraktiken auswirken, wo mögliche Problemfelder liegen und Potenziale bisher ungenutzt bleiben. Der innovative Ansatz von OPAL: Die Implementierung der Sensorbetten wird kontinuierlich sozialwissenschaftlich evaluiert und alle Beteiligten stehen in engem Austausch. So kann partizipative Technikgestaltung erreichen, dass Pflegende und Gepflegte die digitalen Neuerungen akzeptieren und tatsächlich auch zu ihrem Vorteil nutzen.

Kontakt
Jun.-Prof. Dr. Stefanie Büchner

L3S-Mitglied Stefanie Büchner leitet den Arbeitsbereich Soziologie der Digitalisierung am Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover. Sie forscht zum Spannungsfeld von Digitalisierung und Organisationen.

Dr. Jannis Hergesell

Jannis Hergesell ist Postdoc am L3S und am Arbeitsbereich Soziologie der Digitalisierung am Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover. Er leitet das Projekt OPAL operativ.

Malte Weber, M. A.

Malte Weber ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am L3S im Projekt OPAL und am Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover.